Wichtige Infos zum heutigen Filmabend VULVA 3.0

Wir freuen uns sehr, euch heute Abend den Film Vulva 3.0 präsentieren zu können!
Da es leider technische Probleme gab, sind die Anmeldungen von „externen“ Menschen außerhalb der Charité nicht angekommen. Wir bitten euch daher, nochmals eine Mail zu schicken und zwar an:

kritischemediziner_innen@riseup.net

Mit der dann zugestellten Anmeldebestätigung bekommt ihr sowohl den vergünstigten Schnelltest im Testzentrum als auch den Zugang auf unser Charité-Gelände!
Gebt die Infos bitte weiter an Menschen, die ebenfalls noch keine Anmeldebestätigung erhalten haben.

Herzliche Grüße und bis heute Abend!
Eure Kritis

Filmabend 13.7.22 Vulva 3.0 mit Ulrike Zimmermann

Am Mittwoch den 13. Juli werden wir im Paul-Ehrlich-Hörsaal der Charité den Film “Vulva 3.0” zeigen, der sich als Dokumentation mit dem gesellschaftlichen Bild des weiblichen Geschlechtorgans und besonders der plastischen Chirurgie zur ästhetischen “Optimierung” dessen befasst. Mit dem Untertitel “zwischen Tabu und Tuning” wurde dieser auch schon 2014 auf der Berlinale vorgeführt und wir freuen uns sehr, dass die Regisseurin und Drehbuchautorin Ulrike Zimmermann anwesend sein wird, um mit uns danach noch in ein gemeinsames Gespräch zu gehen.

Über den Film:
Die Schönheitschirurgie hat ein neues Aufgabengebiet: die (Weg-) Optimierung der Vulva. Ausgehend von dieser Entwicklung bietet VULVA 3.0 – ZWISCHEN TABU UND TUNING einen unterhaltsamen, überraschenden und nicht zuletzt aufklärerischen Blick auf Intimregionen. Es geht um Wahrnehmung und Repräsentation, um Sichtbarkeit und Verstecken, um freiwillige Modellierungen und rituelle Verstümmelung, um anatomische Irrtümer und historische Perspektiven, um Zensur und Zelebrieren der Vulva und damit der Sexualität vieler Menschen. Zu Wort kommen dabei unter anderem die Aktivistin gegen (weibliche) Genitalverstümmelung Jawahir Cumar, die bekannte bekannte Publizistin (u.A. „Vulva“ und „Identitti“) und Kulturwissenschaftlerin Dr. Mithu Melanie Sanyal, die Medizinhistorikerin Dr. Marion Hulverscheidt, die Publizistin der erotischen Jahrbände „Mein heimliches Auge“ Claudia Gehrke, die Erfinderin eines bekannten Vulvenmodells für die Sexualerziehung Angelika Beck, die Betreiberin des „Sexclusivitäten Salons“ und Herausgeberin von „a new view of a woman’s body“ Dr. Laura Méritt, und mehrere Mitgründer:innen der Gesellschaft für ästhetische und rekonstruktive Intimchirurgie GAERID e.V.

WANN?
Mittwoch, 13.7.
Einlass: 18:30 Uhr
Filmstart: 19:15 Uhr
Anschließend Publikumsgespräch mit der Regisseurin Ulrike Zimmermann

WO?
Paul-Ehrlich-Hörsaal, Virchowweg 4, Campus Charité Mitte

WIE komm ich rein?
Mit Schnelltest nicht älter als 48h und FFP2-Maske + Erlaubnis/Einladung, um auf das Gelände zu kommen.
Für Medizinstudierende und Angestellte der Charité reicht ein selbstgemachter Schnelltest und der entsprechende Charité-Ausweis.
Alle anderen brauchen eine Einladung von uns. Schreibt uns dafür einfach eine kurze Mail an berlin@kritmed.de! Die Einladung sowie einen Schnelltest einer zertifizierten Teststelle müsst ihr beim Betreten des Geländes vorzeigen. Mit der Einladung könnt ihr außerdem eine Ermäßigung auf 3€ bei zertifizierten Teststellen bekommen, da sie als „Eintrittskarte“ belegt, dass ihr an einer Indoor-Veranstaltung teilnehmen wollt.*

*verweist ggf. auf die Testverordnung §4a Abs. 1 Nr. 6a, nach der ihr ermäßigungsberechtigt seid. Gegebenenfalls muss eine Selbstauskunft ausgefüllt werden.

Eintritt frei

Kennenlerntreffen zum Semesterstart 2021/22

Warum wird überwiegend an weißen cis-Männern geforscht Und trotzdem gibt es noch keine Pille für den Mann? Wieso werden Patient*innen entlassen, obwohl sie noch weitere Pflege benötigen würden? Weshalb gibt es Patente für Medikamente? Haben alle Menschen in Deutschland einen gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung?
Mit genau solchen und weiteren Fragen beschäftigen wir uns als Kritische Mediziner*innen bei unseren wöchentlichen Treffen. Wir sind eine Gruppe von Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten, aber uns verbindet alle die Vision von einem Gesundheitswesen frei von Rassismus, Sexismus und Profitorientierung. Den Start macht in diesem Semester unsere Filmreihe (endlich nach langer Pandemiepause!)

Ihr findet auch, dass bei der Medizin das Patient*innenwohl im Fokus stehen sollte? Dass Gesundheit nicht abhängig sein darf von Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität oder finanzieller Situation? Ihr möchtet mehr erfahren über die Probleme, die es in der Medizin gibt, aber die nicht angesprochen werden?

Kommt vorbei!

WANN? 25.10.2021, 18 Uhr

WO? Bandito Rosso, Lottumstraße, Berlin

WAS? entspanntes Kennenlernentreffen und Diskussion zum Film „Der marktgerechte Patient“ (Ökonomisierung und damit verbundene Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem)

Es gelten die 2G-Regelungen.

Lasst uns gemeinsam diskutieren, kennenlernen und einen netten Abend verbringen! Wir freuen uns auf euch!

Sozialstaat Deutschland – Gesundheitsversorgung für alle?

Bei Knochenbruch, Krankheit und medizinischem Notfall begibt man sich in medizinische Behandlung. Auch Menschen ohne Krankenversicherung steht in der EU rechtlich vorgeschrieben eine menschenwürdige medizinische Basisversorgung zu. In Deutschland jedoch sind bestimmte Gruppen von Menschen strukturell von ihrem Recht auf Gesundheit ausgeschlossen: In vielen europäischen Ländern können die Ärzt*innen nach der Behandlung die Kosten von Ämtern zurückfordern. Deutschland stellt sich mit einer praxisfernen Gesetzgebung dagegen und verwehrt vor allem Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus ihr Recht auf Gesundheit. 


Rechtliche Grundlagen

1. Theoretisch haben Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ein Recht auf grundlegende Gesundheitsversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darin inbegriffen sind z.B. akute Erkrankungen oder Schmerzzustände, Schwangerschaften sowie Impfungen und Einzelfälle, in denen eine Behandlung zur Sicherung der Gesundheit notwendig ist. Für die Kostenübernahme können Behandlungsscheine beim Sozialamt beantragt werden, da Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus über keinen Versicherungsschutz verfügen.

2. Gleichzeitig sind öffentliche Stellen, zu denen auch die Sozialämter gehören, verpflichtet, Namen und Adressen von Personen ohne Aufenthaltstitel an die Ausländerbehörde zu melden (§87 Aufenthaltsgesetz; sogenannte Übermittlungspflicht). 

3. Weiterhin können die Sozialämter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einen Datenabgleich mit der Ausländerbehörde vornehmen, um personenbezogene Daten der Leistungsberechtigten zu überprüfen. 

Falls die Ausländerbehörde die Daten von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus erhält, droht ebendiesen die Verhaftung und Abschiebung. Aus Angst, abgeschoben zu werden, nutzen viele Betroffene ihr Recht auf Gesundheit, wenn überhaupt, nur im äußersten Notfall.


Behandlung im Notfall

Medizinisches Personal ist im Notfall verpflichtet, allen Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu helfen. Eine Kostenerstattung für die Krankenhäuser kann bei den Sozialämtern beantragt werden. Daraus folgt ein verlängerter Geheimnisschutz der Sozialbehörden – sie dürfen also nicht direkt die Ausländerbehörde bzw. die Polizei im Sinne der Übermittlungspflicht kontaktieren. Ob dies in der Praxis allerdings tatsächlich so eingehalten wird, ist nicht sichergestellt. Außerdem gilt der verlängerte Geheimnisschutz nicht für die Regelung des Datenabgleichs. Daraus folgt, dass die Sozialämter trotzdem rechtlich in der Lage sind, Daten indirekt an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Der sogenannte Nothelferparagraph soll regeln, dass Krankenhäuser ihre Kosten erstattet bekommen, wenn die Betroffenen nicht schnell genung einen Behandlungsschein beantragen können. Dieser Paragraph greift allerdings nur unter realitätsfernen Bedingungen: So muss z.B. die Bedürftigkeit der Betroffenen durch Kontoauszüge, Miet- oder Lohnabrechnungen, etc. nachgewiesen werden. Bei Personen ohne Aufenthaltstitel sind diese Dokumente in den meisten Fällen nicht vorhanden. Das führt dazu, dass Krankenhäuser aufgrund der Sorge, ihre Kosten nicht erstattet zu bekommen, oft erst dann zu einer Behandlung bereit sind, wenn die Betroffenen eine Kostenübernahme unterschrieben oder einen Vorschuss gezahlt haben. Die Krankenhäuser machen sich somit unter Umständen sogar der Unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Nicht zuletzt kontaktieren auch Krankenhausbeschäftigte häufig direkt die Polizei, wenn sie Patient*innen ohne Aufenthaltsstatus vor sich haben. Sie verletzen damit die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht. Diese gilt übrigens auch für sogenannte berufsmäßig tätige Hilfen, z.B. das Verwaltungspersonal einer Klinik.


Europäischer Vergleich

Deutschland ist das einzige Land Europas, in dem die Übermittlungspflicht noch existiert. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist in allen anderen Ländern zwar regional noch sehr unterschiedlich, doch in keinem Land müssen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus eine Abschiebung riskieren, wie es in Deutschland der Fall ist. 

England: Der Datenaustausch zwischen Innenministerium und dem nationalen Gesundheitsdienst NHS wurde 2018 von der englischen Regierung beendet, nach dem es einen massiven Druck von der Seite des medizinischen Personals sowie der Zivilgesellschaft gab.


Schweden: Seit einer Gesundheitsreform im Jahr 2013 müssen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus nicht mehr selbst für ihre Behandlungen aufkommen, sondern haben für ein Entgelt von 5 Euro Anspruch auf grundlegende medizinische Versorgung, wie sie Asylbewerber*innen zusteht. Diese kann – je nach Region Schwedens – auch über die Mindestversorgung hinausgehen und der Gesundheitsversorgung schwedischer Staatsangehöriger gleichkommen.

Spanien: Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus müssen sich für einen uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung im Gemeinderegister eintragen lassen. Auf dieses hat die Polizei bzw. Ausländerbehörde jedoch keinen Zugriff. Mit einer Unterbrechung von 2012-2018, während der diese Regelung durch die konservative Regierung außer Kraft gesetzt wurde, hat Spanien damit eines der inklusivsten Gesundheitssysteme.


Verstoß gegen Menschenrechte und Grundgesetz

Laut der UN-Menschenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten dazu, für alle Menschen „das für {sie} erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ sicherzustellen. Deutschland hat diese Konvention unterschrieben. Mit der Übermittlungspflicht, die ganze Gruppen von Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, von einer grundlegenden Gesundheitsversorgung ausschließt, verstößt die Bundesrepublik Deutschland damit gegen dieses Menschenrecht. Erst 2018 forderte ein UN-Ausschuss die Bundesregierung dazu auf, die Übermittlungspflicht abzuschaffen. Die Übermittlungspflicht verstößt auch gegen die deutsche Verfassung: Die Würde des Menschen ist im Grundgesetz das höchste Gut. Sie wird über ein grundlegendes Existenzminimum definiert, zu dem das Bundesverfassungsgericht auch die Gesundheit zählt. Der Gesetzgeber ist nach dem Sozialstaatsprinzip zur Sicherstellung dieses Existenzminimums verpflichtet; Deutschland bewirkt mit der Übermittlungspflicht jedoch genau das Gegenteil und verhindert stattdessen, dass die Würde von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus gewährleistet wird. Des Weiteren werden durch den praktisch eingeschränkten Zugang auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt. 


Abschaffung der Übermittlungspflicht

Bisherige Reformvorschläge der Übermittlungspflicht von Grünen, Linken und SPD zur Übermittlungspflicht wurden bisher immer von CDU/CSU abgelehnt. In dem Reformvorschlag wäre die Übermittlungspflicht auf Strafverfolgungseinrichtungen und Polizei begrenzt gewesen. Nachdem einige Länder bereits seit Mitte der 2000er die Meldepflicht für Schulen von Kindern ohne Aufenthaltsstatus aussetzten, legte der Bund im Jahr 2011 nach: Schulen und Kindergärten wurden von der Übermittlungspflicht ausgenommen.
Für die Sicherstellung des Rechts auf Gesundheit gibt es lokale, staatlich finanzierte Initiativen, wie die Clearing-Stellen für Menschen ohne Krankenversicherung oder das Projekt des Anonymen Krankenscheines in Thüringen. Letzteres wurde nach einem Regierungswechsel wieder aufgekündigt. Jedoch liegt die Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung mit den Medibüros und Medinetzen, sowie den Maltesern und weiteren Hilfsorganisationen, zum Großteil in rein ehrenamtlicher Hand. Trotz der wichtigen Arbeit der ehrenamtlichen Akteur*innen kann das Recht auf Gesundheit nicht umfassend umgesetzt werden.

Deswegen fordern wir: Die Abschaffung des §87 Aufenthaltsgesetz, damit endlich allen Menschen eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung zukommen kann. Wir unterstützen die Kampagne „Medizinische Versorgung steht allen zu! Übermittlungspflicht jetzt einschränken!“

Unterschreibt die Petition jetzt!


Quellen:

https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/56867/uebermittlungspflicht-aufgehoben
https://gleichbehandeln.de/wp-content/uploads/2021/05/210504_RZ_GFF_Studie_Recht-auf-Gesundheit_screen_DS.pdf
Medinetze/Medibüros: https://medibueros.org/
Clearingstellen: https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/resource/blob/203274/1594458/49cd7b962c4bd4701c329ed50025dad2/verzeichnis-clearingstellen-2020-data.pdf

Pflegestreik Berlin 2021

Wo stehen wir?
In linken Kreisen herrscht Konsens, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege schlecht sind. Trotzdem soll kurz beschreiben werden, wo wir stehen und warum.
Die aktuelle Belastungssituation lässt sich anhand von wenigen Fakten festmachen. So sind sowohl die gefühlte Belastung, als auch die objektivierbaren Aufgaben und die Arbeitszeit seit ca. 2 Jahrzehnten konstant und im Vergleich zu anderen Berufsgruppen hoch. Folge sind eine hohe Anzahl an Fehltagen und ein hoher Anteil an Teilzeitarbeit (2009: 52%). Neben Versorgung von Kindern ist das Gefühl, die eigene Gesundheit schützen zu müssen, ein großer Faktor. Im Durchschnitt arbeiten Pfleger*innen 8,4 Jahre in ihrem Beruf.
Die Gründe für die hohe Arbeitsbelastung sind vielfältig und sehr individuell: Pflege ist schwere körperliche Arbeit, durch die Konfrontation mit Ausnahmesituationen ist die psychische Belastung hoch. Meist arbeiten Pfleger*innen im Schichtdienst. Hinzu kommt ein geringer Gestaltungsspielraum, der hohe Grad der Bürokratisierung und die subjektive fehlende monetäre wie gesellschaftliche Anerkennung. 1

Wie konnte es so kommen?
Vor 1984 wurde das deutsche Gesundheitssystem vollfinanziert, nach dem sogenannten Selbstkostendeckungsprinzip. Seit den 1980er Jahren wurde mit Einführung der DRGs (Fallpauschalen) schrittweise ein Konkurrenzdenken im Krankenhauswesen geschaffen. 
Was folgte, war der sogenannte „Kellertreppeneffekt“: Wenn die Ausgaben aktuell zu hoch sind, müssen dauerhaft Kosten gesenkt werden; dies fällt dann oft auf die Geringverdienenden zurück.


60% der Kosten im KKH entfallen auf das Personal. 
Zur Kostensenkung in diesem Bereich werden hier 3 einfache Konzepte vorgestellt: 
1. Durch Outsourcing werden Bereiche der Arbeit um- oder ausgegliedert. Neben dem Effekt der Zuführung von privaten Geldern wird dieser Bereich dann aus für den Betrieb geltenden Tarifverträgen rausgelöst. 2005 war es auch bei der Charité so weit: Das Charité Facility Management wurde ausgegliedert, dabei wurden 49% der Firmenanteile an private Investor*innen verkauft.
2. Das einfachste Konzept stellt der Personalabbau dar. Wo weniger Menschen arbeiten, müssen auch weniger bezahlt werden. Während an der Charité die Zahl der stationären Fälle stark anstieg, sank die Zahl der Pflegekräfte innerhalb von 9 Jahren. Zwar sank auch die Verweildauer deutschlandweit von durchschnittlich 13,3 auf 7,7 Tage innerhalb von 15 Jahren, an der Charité waren es 2015 sogar nur 5,82 Tage. Oft stellt dies jedoch keine Entlastung dar, sondern Arbeitsverdichtung, da Aufgaben in einem kürzeren Zeitraum erledigt werden müssen.
3. Die Personalumstrukturierung beschreibt die Abgabe von Hilfaufgaben an Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, zum Beispiel an Krankenpflegehelfer*innen, Servicekräfte, Studierende oder Azubis.

Was wurde dagegen getan?
An der Charité streikte die Pflege mithilfe von ver.di bereits mehrmals. Nach einem dieser Streiks wurde 2006 ein Tarifvertrag ausgehandelt. 
Ein Tarifvertrag ist eine Einigung zwischen der Gewerkschaft und einer Firma, bzw. Arbeitgeber*innenverband, in dem Arbeitsbedingungen wie etwa Löhne, Gehälter, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch geregelt werden.
Nachdem ver.di mit der Charité schon seit ca. 2010 einen neuen Tarifvertrag aushandelte, war es 2015 zu einem Stillstand gekommen:
Pflege und OP wollten das ewige Aufschieben und die aktuelle Arbeitsbelastung in Berlin nicht mehr hinnehmen.
Deswegen kam es im Juni 2015 an der Charité erneut zum Streik:
Über 2 Wochen wurden 20 Stationen geschlossen, 1200 von 3000 Betten und große Teile des OPs wurden bestreikt, Schätzungen gingen von einem Verlust von 500.000€/Tag aus.


Der Streik im Gesundheitssystem war aus mehrere Gründen neuartig: 
Es wurde auf eine basisdemokratische Erarbeitung der Forderungen gesetzt (Abgeordneten-System): Wenn die Mehrheit der auf einer Station arbeitenden Pflegekräfte bei ver.di organisiert waren, stellten diese eine*n Tarifberater*in. Diese trafen sich in Versammlungen und diskutierten über die Forderungen für den neuen Tarifvertrag, zum Beispiel über die Mindestbesetzungen auf den einzelnen Stationen. Die so erarbeiteten Forderungen wurden danach an die Hauptamtlichen von der ver.di Tarif- und Verhandlungskommission weitergeleitet, welche die Forderungen gegenüber dem Vorstand verhandelten.
Der Streik hatte Erfolg und so wurde der erste sogenannte „Entlastungstarifvertag“ in Berlin abgeschlossen. Einige Kernpunkte stellten die Mindestbesetzung auf den Intensivstationen Stroke 1:3 und Kinderklinik höchstens 1:6,5 dar. Für den Hauptteil der Angestellten auf den Normalstationen konnte kein Konsens erarbeitet werden, es wurden lediglich „Richtwerte“ wurden. Der Entlastungstarifvertrag ist sehr angreifbar, hatte viele „Schlupflöcher“, war für die Charité wenig verbindlich und setzte oft auf die „Selbstregelungskompetenz der Beschäftigen in Bereichen ohne definierte Mindeststandards“.

Der Entlastungs-Tarifvertrag, nur ein weiterer Tarifvertrag?
Und doch war der Tarifvertrag ein Meilenstein in der Geschichte der Krankenhausstreiks, und das aus mehreren Gründen.
Erstmals ging es nicht um Geld, sonder ganz spezifisch um die Arbeitsbedingungen des Personals und eine langfristige Verbesserung der Arbeitssituation. 
In dem sonst für Gewerkschaften schwierigen Umfeld herrschte zuletzt eine große Zustimmung, so stimmten in der Urabstimmung 96% der Pflegekräfte für einen Streik.
Im Verlauf klagte die Charité auf unternehmerische Freiheit gegen die Forderungen zu mehr Personal. Das Landesgericht Berlin bestimmte jedoch mit einer einstweiligen Verfügung: 
„Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Beschäftigten anfängt“. Somit konnten die Angestellten für mehr Personal streiken. 
Der Streik sorgte für ein großes mediales Interesse, was schlussendlich auch zum Erfolg der Forderungen führte.
Nicht zuletzt war der Entlastungstarifvertrag besonders, weil er nur der erste einiger Entlastungstarifverträge in anderen Städten sein sollte.

Neben einigen Unikliniken konnte an anderen deutschen Krankenhäusern ein sogenannter Entlastungstarifvertrag für die Pflege erstritten werden. In einigen Städten wurde das System der Belastungsschichten etabliert. Falls unter einem vorher festgelegten Pflegeschlüssel gearbeitet wird, erhalten alle Personen einen Punkt. Bei Sammlung einer bestimmten Anzahl von Punkten, z.B. 7 Punkten, erhält die Person einen Tag frei. Im folgenden Jahr wird dann die Anzahl der Punkte, die man für einen freien Tag benötigt reduziert. Somit wird kontinuierlich ein höherer Druck ausgeübt, wobei gleichzeitig der Krankenhausleitung Zeit für Einstellung von mehr Personal gegeben wird.

Was hat sich mit dem Entlastungstarifvertrag an der Charité in Berlin getan?
Leider ist zum jetzigen Zeitpunkt die Umsetzung des Tarifvertrags mangelhaft: auf 50% der Stationen arbeitet zur Zeit eine Person weniger als es der Tarifvertrag vorsieht. 
Wo keine konkreten Vorgaben (z.B. in der Rettungsstelle) existieren, sollte die Charité Personalbedarf analysieren, was jedoch nicht geschehen ist.
Auch die Forderung der Aufstockung der Nachtdienste wurde nicht umgesetzt; statt 40 Stellen aufzubauen, wurden 20 Stellen abgebaut. 
Bei Überlastung war die folgende Kaskade vorgesehen: Erst werden Leasingkräfte angefordert, dann reduzieren die Pflegekräfte die Tätigkeiten, schlussendlich werden Betten gesperrt. Diese Maßnahmen haben sich als unwirksam herausgestellt: im Vergleich zur Zeit vor dem Entlastungstarifvertrag werden 2/3 weniger Leasingstelle angefordert, das Sperren von Betten ist weiterhin eine Ausnahme.

Was ist diesmal der Plan?
Es soll ein neuer Entlastungstarifvertrag verhandelt und wenn nötig erstritten werden. Dabei sollen Tarifverträge für die Charité und die Vivantes-Kliniken gemeinsam erkämpft werden. 
Der Kampagnenname lautet Berliner Krankenhausbewegung.
Der Auftakt der Kampagne ist auf den Tag der Pflege am 12.05.2021 angesetzt. 
Hier erfolgt eine Übergabe von Forderungen an die Leitungen der Krankenhäuser sowie den Berliner Senat.
Wenn ihr spontan morgen bei der Übergabe dabei sein sollt, ist die Anmeldung unter folgender Adresse erforderlich, um die Mindestabstände zu gewährleisten: https://www.redseat.de/12-mai/ (Teilnehmen ist sowohl als Pflegekraft, als auch als Unterstützer*in möglich).
Mit Start der Kampagne wird ein Ultimatum von 100 Tagen gestellt, um die Bedingungen des aktuell geltenden Tarifvertrags einzuhalten und eine Einigung der Bedingungen des neuen Entlastungtarifvertrags zu erzielen. Falls bis zum Ende des Ultimatums keine Einigung gefunden wird, folgt ein zeitlich unbegrenzter Streik. Dies fällt genau in die Wahl zum Bundestag und zum Abgeordnetenhaus in Berlin im September 2021. 
Gefordert wird die Vereinbarung eines verbindlichen Pflegepersonalschlüssels für alle Stationen. Das System der Überlastungsschichten soll übernommen werden, um einen kontinuierlichen Druck auf die Klinikleitung zur Verbesserung der Bedingungen zu schaffen. Das basisdemokratische Konzept zur Entwicklung der Forderungen soll beibehalten werden. Gleichzeitig wird ein Tarifvertrag (TVöD) für alle gefordert, sodass Beschäftigten der Tochterunternehmen, wie z.B. das oben erwähnte Charité Facility Management, eine faire Bezahlung und menschliche Arbeitsbedingungen gewährleistet werden.

1 www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente…

gesundheit-soziales-bb.verdi.de/++file+…

https://www.berliner-krankenhausbewegung.de

Pandemiebekämpfung global denken – für eine gerechte Impfstoffverteilung!

In der Diskussion um zu wenig Impfdosen und Verteilungsstrategien fehlt vielerorts der Blick für das große Ganze. Während Teile der deutschen Bevölkerung wünschen, dass sich z.B. Grossbritannien, das schon mehr als 22 Millionen Erwachsene geimpft hat (Stand 09.03.2021), solidarischer mit der EU verhält, wünschen wir uns mehr Weitsicht auf die Welt. Wo ist unsere anfangs so groß geschriebene Solidarität geblieben? Ohne eine globale Impfstrategie und eine gerechte Verteilung der Ressourcen ist kein Ende dieser globalen Pandemie in Sicht.  Wir fordern mehr Partizipation an der globalen Impfstrategie COVAX, Aussetzung des Patentrechts nach TRIPS und einen Blick über den Tellerrand. 

Im letzten Jahr zeigte sich uns der Nationalismus mit einem neuen Gesicht: Impfstoffnationalismus. Wer hat am schnellsten Impfstoff gekauft? Wer hat den meisten gehortet? Und wer hat den besten, der die meisten Standards erfüllt? Zumindest innerhalb der Grenzen der EU herrscht eine gewisse Solidarität bei der Verteilung, mit wenigen Ausnahmen natürlich. Bemerkenswert ist, dass in ein paar Ländern schon fast die gesamte Bevölkerung die zweite Impfdosis erhalten hat. Doch bedauerlich, dass die knapp 40 Millionen geimpften Menschen nur aus 49 der etwa 200 Länder der Welt kommen – vor allem aus Israel, Großbritannien, den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie vielen Ländern der EU. In vielen anderen Ländern werden bis zum Ende des Jahres 2021 wahrscheinlich nicht einmal 10% der Bevölkerung geimpft sein. Zynisch betrachtet vermutlich der Teil, welcher sich für die klinischen Studien für Europa zur Verfügung gestellt hat. Wenn wir nun schon so gerne an uns denken, so sollten wir auch an folgende zwei Punkte denken: eine globale Herdenimmunität ist von großer Wichtigkeit, wenn wir es nicht in den kommenden Jahren mit immer neuen Virusmutationen zu tun haben wollen. Außerdem haben andere Länder und Gesundheitssysteme nicht die Ressourcen, einen langen Lockdown oder eine hohe Anzahl schwer erkrankter Menschen „auszuhalten“. Während wir weiterhin auf ihre Güter zählen, sind uns ihre Leben egal.


Bei der Diskussion um die Impfstoffverteilung darf eine andere Debatte nicht außer Acht gelassen werden: Patente und geistiges Eigentum. Milliarden staatliche Fördergelder fließen in die Grundlagenforschung und speziell im letzen Jahr in die medizinische Forschung zu Covid-19, für deren Resultat Pharmaunternehmen nun horrende Preise selbst festlegen und verlangen können. Pharmazeutische Unternehmen sollten die Produkte ihrer staatlich geförderten Arbeit öffentlich zugänglich und nutzbar machen. Es darf hierbei nicht ihnen überlassen werden, ob und inwieweit sie Solidarität zeigen. Die staatlichen Geldgeber*innen sollten sich emanzipieren und die Produkte ihrer Förderung einfordern. 
Das TRIPS (Trade-Related  Aspects  of  Intellectual  Property  Rights) Agreement verpflichtet zudem alle Weltstaaten zu Respekt vor dem geistigen Eigentum. Ein Eigentum, welches aus ökonomischen Gründen bedauerlicherweise überwiegend in der westlichen Welt entsteht. Dieses Abkommen ist in einer Situation, in der weder genügend Impfstoff durch die Lizenzträger*innen produziert, noch zu erschwinglichen Preisen erworben werden kann, eine Zumutung. Wir unterstützen die Forderung nach Aussetzung des Patentrechts für Covid-19 Produkte, welche den WTO-Staaten durch Indien und Südafrika, beide selbst von der Pandemie stark betroffen, vorgelegt wurde. Während das Vorgehen von vielen Staaten unterstützt wird, sind es vor allem die europäischen Länder, die aktuell blockieren. Können sich Länder den nötigen Impfstoff nicht selbst leisten, fördert dies deren Marginalisierung und unterstreicht neokolonialistische Denkmuster. Es ist an der Zeit zu reflektieren, wieso sich manche Länder den Impfstoff nicht leisten können und welchen Teil das Europa, in dem wir leben, zu den Verhältnissen beigetragen hat. Es darf nicht sein, dass Länder vom G7, G20 oder der Gunst der „westlichen Wertegemeinschaft“ abhängig sind. Denn diese Grosszügigkeit ist bescheiden. Die beiden globalen öffentlich-privaten Gesundheitspartnerschaften CEPI  (Impfstoffentwicklung) und GAVI (Impfstoffbeschaffung und Verteilung) entwickelten zusammen mit der WHO die Kampagne COVAX, die einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu COVID-19-Impfstoffen gewährleisten will. Der COVAX-Vertrag zwischen der EU und den Impfstoffhersteller*innen stellt zwar ein prinzipiell zu begrüßendes Konzept dar, doch er untergräbt sich selbst mit bilateralen Vorabverträgen zwischen einzelnen Ländern und der Pharmaindustrie. Gerechtigkeit sieht anders aus. Obwohl COVAX die Rollenbilder Bedürftiger und Mächtiger festigt, sehen wir darin die Möglichkeit, einer akuten Problematik gerecht zu werden. Doch nur eine größere Bereitschaft seitens der EU und anderer Industrienationen kann eine globale Impfstrategie ermöglichen. Um dieser Pandemie entgegenzutreten, ist eine weltumfassende Strategie unabdingbar. Es ist notwendig, unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit schneller unter Beweis zu stellen, als ein Virus mutieren kann. Es ist unerlässlich, auch an Menschen in Ländern zu denken, deren Staaten sich nicht so viel Impfstoff leisten können. Wenn wir nicht wollen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich in den nächsten Jahren noch mehr vergrößert, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Regierung sich für eine gerechte Impfstoffverteilung einsetzt. Wir fordern mehr Transparenz und Zugang für die Öffentlichkeit, sowie Preise in angemessener Relation zu den Produktionskosten durch die Pharmaunternehmen. Solidarität endet nicht an nationalen Grenzen oder der Festung Europa.

Für weitere Hintergrundinfos zu Kampagnen bezüglich Forschung zu und Verteilung von Medikamenten bzw. Impfstoffen gegen Covid-19 verweisen wir auf das Positionspapier verschiedener humanitärer Organisationen.