Pandemiebekämpfung global denken – für eine gerechte Impfstoffverteilung!

In der Diskussion um zu wenig Impfdosen und Verteilungsstrategien fehlt vielerorts der Blick für das große Ganze. Während Teile der deutschen Bevölkerung wünschen, dass sich z.B. Grossbritannien, das schon mehr als 22 Millionen Erwachsene geimpft hat (Stand 09.03.2021), solidarischer mit der EU verhält, wünschen wir uns mehr Weitsicht auf die Welt. Wo ist unsere anfangs so groß geschriebene Solidarität geblieben? Ohne eine globale Impfstrategie und eine gerechte Verteilung der Ressourcen ist kein Ende dieser globalen Pandemie in Sicht.  Wir fordern mehr Partizipation an der globalen Impfstrategie COVAX, Aussetzung des Patentrechts nach TRIPS und einen Blick über den Tellerrand. 

Im letzten Jahr zeigte sich uns der Nationalismus mit einem neuen Gesicht: Impfstoffnationalismus. Wer hat am schnellsten Impfstoff gekauft? Wer hat den meisten gehortet? Und wer hat den besten, der die meisten Standards erfüllt? Zumindest innerhalb der Grenzen der EU herrscht eine gewisse Solidarität bei der Verteilung, mit wenigen Ausnahmen natürlich. Bemerkenswert ist, dass in ein paar Ländern schon fast die gesamte Bevölkerung die zweite Impfdosis erhalten hat. Doch bedauerlich, dass die knapp 40 Millionen geimpften Menschen nur aus 49 der etwa 200 Länder der Welt kommen – vor allem aus Israel, Großbritannien, den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie vielen Ländern der EU. In vielen anderen Ländern werden bis zum Ende des Jahres 2021 wahrscheinlich nicht einmal 10% der Bevölkerung geimpft sein. Zynisch betrachtet vermutlich der Teil, welcher sich für die klinischen Studien für Europa zur Verfügung gestellt hat. Wenn wir nun schon so gerne an uns denken, so sollten wir auch an folgende zwei Punkte denken: eine globale Herdenimmunität ist von großer Wichtigkeit, wenn wir es nicht in den kommenden Jahren mit immer neuen Virusmutationen zu tun haben wollen. Außerdem haben andere Länder und Gesundheitssysteme nicht die Ressourcen, einen langen Lockdown oder eine hohe Anzahl schwer erkrankter Menschen „auszuhalten“. Während wir weiterhin auf ihre Güter zählen, sind uns ihre Leben egal.


Bei der Diskussion um die Impfstoffverteilung darf eine andere Debatte nicht außer Acht gelassen werden: Patente und geistiges Eigentum. Milliarden staatliche Fördergelder fließen in die Grundlagenforschung und speziell im letzen Jahr in die medizinische Forschung zu Covid-19, für deren Resultat Pharmaunternehmen nun horrende Preise selbst festlegen und verlangen können. Pharmazeutische Unternehmen sollten die Produkte ihrer staatlich geförderten Arbeit öffentlich zugänglich und nutzbar machen. Es darf hierbei nicht ihnen überlassen werden, ob und inwieweit sie Solidarität zeigen. Die staatlichen Geldgeber*innen sollten sich emanzipieren und die Produkte ihrer Förderung einfordern. 
Das TRIPS (Trade-Related  Aspects  of  Intellectual  Property  Rights) Agreement verpflichtet zudem alle Weltstaaten zu Respekt vor dem geistigen Eigentum. Ein Eigentum, welches aus ökonomischen Gründen bedauerlicherweise überwiegend in der westlichen Welt entsteht. Dieses Abkommen ist in einer Situation, in der weder genügend Impfstoff durch die Lizenzträger*innen produziert, noch zu erschwinglichen Preisen erworben werden kann, eine Zumutung. Wir unterstützen die Forderung nach Aussetzung des Patentrechts für Covid-19 Produkte, welche den WTO-Staaten durch Indien und Südafrika, beide selbst von der Pandemie stark betroffen, vorgelegt wurde. Während das Vorgehen von vielen Staaten unterstützt wird, sind es vor allem die europäischen Länder, die aktuell blockieren. Können sich Länder den nötigen Impfstoff nicht selbst leisten, fördert dies deren Marginalisierung und unterstreicht neokolonialistische Denkmuster. Es ist an der Zeit zu reflektieren, wieso sich manche Länder den Impfstoff nicht leisten können und welchen Teil das Europa, in dem wir leben, zu den Verhältnissen beigetragen hat. Es darf nicht sein, dass Länder vom G7, G20 oder der Gunst der „westlichen Wertegemeinschaft“ abhängig sind. Denn diese Grosszügigkeit ist bescheiden. Die beiden globalen öffentlich-privaten Gesundheitspartnerschaften CEPI  (Impfstoffentwicklung) und GAVI (Impfstoffbeschaffung und Verteilung) entwickelten zusammen mit der WHO die Kampagne COVAX, die einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu COVID-19-Impfstoffen gewährleisten will. Der COVAX-Vertrag zwischen der EU und den Impfstoffhersteller*innen stellt zwar ein prinzipiell zu begrüßendes Konzept dar, doch er untergräbt sich selbst mit bilateralen Vorabverträgen zwischen einzelnen Ländern und der Pharmaindustrie. Gerechtigkeit sieht anders aus. Obwohl COVAX die Rollenbilder Bedürftiger und Mächtiger festigt, sehen wir darin die Möglichkeit, einer akuten Problematik gerecht zu werden. Doch nur eine größere Bereitschaft seitens der EU und anderer Industrienationen kann eine globale Impfstrategie ermöglichen. Um dieser Pandemie entgegenzutreten, ist eine weltumfassende Strategie unabdingbar. Es ist notwendig, unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit schneller unter Beweis zu stellen, als ein Virus mutieren kann. Es ist unerlässlich, auch an Menschen in Ländern zu denken, deren Staaten sich nicht so viel Impfstoff leisten können. Wenn wir nicht wollen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich in den nächsten Jahren noch mehr vergrößert, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Regierung sich für eine gerechte Impfstoffverteilung einsetzt. Wir fordern mehr Transparenz und Zugang für die Öffentlichkeit, sowie Preise in angemessener Relation zu den Produktionskosten durch die Pharmaunternehmen. Solidarität endet nicht an nationalen Grenzen oder der Festung Europa.

Für weitere Hintergrundinfos zu Kampagnen bezüglich Forschung zu und Verteilung von Medikamenten bzw. Impfstoffen gegen Covid-19 verweisen wir auf das Positionspapier verschiedener humanitärer Organisationen.

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