Das öffentliche Krankenhaus Evangelismos

Reisetagebuch Teil 6

Während ein paar von uns sich übers Wochenende am Meer erholt haben, haben andere sich in Athen vernetzt, Leute getroffen und einen Kontakt aufgetan, der uns in das größte öffentliche Krankenhaus von Athen, die Evangelismosklinik, gebracht hat. Nach allem, was wir aus der Perspektive der solidarischen Kliniken über die Entwicklung des Gesundheitssystems gehört haben, waren wir sehr interessiert daran, uns ein eigenes Bild von den Zuständen in der öffentlichen Versorgung zu machen. Die Informationen, die wir gehört haben, sind einerseits sehr spezifisch – unser Kontakt war eine Ärztin in der Mikrobiologie – und andererseits ganz allgemein: die Arbeit sei schwierig, das Material knapp, die Bezahlung schlecht. Trotzdem tun alle, was sie mit den eingeschränkten Ressourcen tun können. Hier der Bericht:
Das groesste oeffentliche Krankenhaus in Athen - Davor ein Transparent der Belegschaft gegen die Kuerzungen im Gesundheitssystem
Das größte öffentliche Krankenhaus in Athen – davor ein Transparent der Belegschaft gegen die Kürzungen im Gesundheitssystem
Unsere Vierergruppe wird am Eingang des Krankenhauses von der zahlreich vertretenen Security aufgehalten. Die wollen, dass wir uns dort abholen lassen. Da unsere Kontaktperson nicht ans Telefon geht, nutzen wir einen günstigen Augenblick und fragen uns auf eigene Faust durch bis zu den Laboren der Mikrobiologie.

    
Im Tumormarkerlabor werden pro Monat 7000 monoklonale Antikörpermessungen für verschiedenste Tumormarker durchgeführt. Das Labor hat oft zu wenig Reagenzien, aber da andere Stationen auf Doppleruntersuchungen über eine Woche warten müssen, schicken die pathologischen Abteilungen alles Mögliche zur Untersuchung. Nur die Krebsstation siebt ihre Proben vorher selbst aus. Zusätzlich sind die Patient*innenzahlen in den letzten Jahren gestiegen, weil die meisten kleineren Krankenhäuser zugemacht wurden und die Menschen sich private Kliniken nicht mehr leisten können.
Das allgemeine biochemische Labor beschäftigt eine Person einzig für die Herstellung und Beschaffung von Reagenzien. Hier werden 12.000-15.000 Analysen pro Tag durchgeführt, wobei bis zu 24 Tests an einer Probe ausgeführt werden können. Obwohl unsere Begleitung stolz auf das Voranalysesystem des Labors ist, sind die Maschinen durchweg alt und müssten eigentlich ersetzt werden. Manche Parameter können nicht untersucht werden, weil das Material fehlt. Dabei ist Evangelismos als eines der gößten Krankenhäuser Griechenlands finanziell besser versorgt als die meisten anderen. 2014 hat die griechische Nationalbank mit 30 Millionen Euro ein neues chirurgisches Gebäude finanziert. Trotzdem fehlt es an allen Ecken und Enden. „Wir versuchen unseren Job mit dem zu machen, was wir haben,“ wird uns immer wieder gesagt, aber die Budgets werden jedes Jahr kleiner.
Auf dem Weg durch die Korridore laufen wir an über zwanzig zusammen abgestellten Patient*innenbetten plus Angehörigen vorbei. Jeden vierten Tag öffnet das Krankenhaus 24 Stunden lang die Türen für allgemeine Notfälle. Gestern war so ein Tag. Viele der Patient*innen, die immernoch hier liegen, sind blutbespritzt und tragen Verbände oder Gips. Wir fragen nach, was an den anderen drei Tagen mit Notfällen passiert, können den Unterschied aber nicht ganz verstehen. Die Rettungsstelle ist regulär immer offen, auch die Krankenwagen sind angeblich schnell zur Stelle, wenn man sie ruft. Nur aus dem Krankenhaus wieder herauszukommen,  dauere lange.
Am Ende landen wir in der Kardiologie, wo uns ein freundlicher Arzt einen seiner letzten Herzkatheterfälle vorstellt. Der Fall ist anatomisch interessant, zeigt aber auch die Frustration der Ärzt*innen, die lebensverlängernde Behandlungen oft nur deswegen nicht machen können, weil kein Geld da ist. In diesem Fall fehlt ein Gerät, dass erst in den letzten Jahren entwickelt wurde, und mit dem die kompliziert verschlungenen und stark verstopften Herzkranzarterien des Patienten wieder geöffnet werden könnten. „Vor drei Jahren hätten wir uns das vielleicht leisten können, aber jetzt ist alles viel schlechter,“ sagt der Arzt. Wir schauen in den Herzkatheterraum, in dem eine Patientin für die Untersuchung vorbereitet wird. Die sterile Abdeckung, die früher, wie in Deutschland, aus Plastiktüchern zum Wegwerfen bestand, wird jetzt mit großen Baumwolllappen gemacht. „Es fehlt an den trivialsten Sachen,“ sagt der Arzt. „Die Sachen sind nicht teuer, aber ohne sie ist unserer Arbeit viel anstrengender.“
Auch in der Kardiologie steigen die Patient*innenzahlen. Eigentlich werden hier nur Leute mit Versicherung behandelt, aber wenn eine Person mit einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt kommt, wird sie nicht abgewiesen. Gerade diese Gruppe wird in letzter Zeit immer größer, weil unversicherte Patient*innen es sich nicht leisten können, die einfacheren Erkrankungen behandeln zu lassen, die langfristig zu bedrohlichen Situationen führen. Auch von der großen Zahl an Leuten, die auf ihrer Reise vom mittleren Osten nach Mitteleuropa in Athen Station machen, werden immer wieder Menschen schwer krank und müssen schnell behandelt werden.
Auf dem Weg zum Ausgang erkundigen wir uns nach den Arbeitsbedingungen der Ärzt*innen. Zwar sind die etwa 1000 Ärzt*innen und Assistenzärzt*innen am Evangelismos nicht von Entlassung bedroht, aber es werden auch schon seit langem keine Leute mehr eingestellt. Die Belegschaft des Labors beispielsweise altert merklich und ermüdet auch durch die regelmäßigen 24-Stunden-Schichten. Die Ärztin, die uns herumgeführt hat, arbeitet seit über 25 Jahren im Krankenhaus, bekommt aber nur noch 1,300 Euro im Monat. Viele jüngere Kolleg*innen verlassen deshalb Griechenland und gehen nach Deutschland oder nach London, wo sie um die 5000 Euro verdienen können. 
Vor dem Krankenhaus verabschieden wir uns und lassen uns noch das große Oxi-Transparent am Eingang übersetzen: „Nein zur Troika, Nein zur EU, Nein zum Grexit.“ Dem können wir uns nur anschließen!

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