Die solidarische Klinik und Apotheke im Zentrum Athens

Reisetagebuch Teil 5

Als wir am Donnerstag „Solidarity for all“ besucht haben, haben wir einen weiteren Kontakt zu einer solidarischen Klinik im Zentrum von Athen bekommen. Wir wurden eingeladen sofort dort vorbei zu schauen und haben diese Einladung gern angenommen.

ein Behandlungszimmer
ein Behandlungszimmer

Alexandra Pavlou, eine Aktivistin der Klinik, hat uns freundlich empfangen und mit uns einen kleinen Rundgang durch die Räumlichkeiten gemacht. Im August sei die Klinik geschlossen gewesen, da in den Sommermonaten viele Menschen Athen verlassen würden und dadurch in der Stadt nicht so viel los sei. Wir hatten Glück, dass noch nicht alle Ärzt*innen aus der Sommerpause zurück waren. So konnten wir uns die Klinik anschauen, ohne den laufenden Betrieb zu stören.
In der Klinik arbeiten ca. 100 Freiwillige, von denen die Hälfte Ärzt*innen sind und die andere Hälfte sich um alle organisatorischen Dinge kümmert. Alle Menschen machen ein bis zwei Schichten in der Woche. Die klinikeigene Apotheke ist drei mal in der Woche geöffnet. Wie in allen anderen Kliniken auch, wird alles hier durch Spenden finanziert. Doch es gibt den kleinen Unterschied, dass die Klinik Miete und Strom bezahlen muss und deshalb nicht nur Sach- sondern auch Geldspenden annimmt.
Patient*innen müssen hier einen Termin vereinbaren. Nur bei den Zahnärzt*innen sind auch akute Notfallbehandlungen möglich. Neben den Menschen, die selbst in die Klinik kommen, weil sie ohne Krankenversicherung vom öffentlichen Gesundheitssystem ausgeschlossen sind, behandeln die Ärzt*innen auch Flüchtende an verschiedenen Orten in Athen und auf den Inseln im Mittelmeer.Um eine zahnärztliche Behandlung zu bekommen, müssen die Patient*innen nicht nachweisen ob sie versichert sind oder nicht, da auch für Menschen mit Krankenversicherung die Behandlung in privaten Praxen nicht kostenlos ist und sich das viele nicht leisten können. Alexandra sagt uns, dass der Zahnstatus vieler Patient*innen dem Zustand in den 50er Jahren gleiche. In der Klinik kann fast alles an den Zähnen gemacht werden, bis auf Brücken und andere ähnlich teure Dinge.

die Zahnarztpraxis der Klinik
die Zahnarztpraxis der Klinik

Wie viele andere Kliniken, ist auch die Klink im Zentrum von Athen vor 3 Jahren von Aktivist*innen gegründet worden, die vorher schon sozial und politisch engagiert waren. Die Klink soll keine reine Hilfsorganisation sein, sondern Teil von Widerstand gegen eine Politik der Verehlendung und Entdemokratisierung. Medizinische Versorgung bewege sich nicht in einem abstrakten, neutralen Raum, sondern sei Teil der politischen Auseinandersetzung. Kranken Menschen, die auf der Suche nach medizinischer Hilfe in die Klink kommen, müsste zunächst als Patient*innen geholfen werden, unabhänig von politischen Fragen. Auf der anderen Seite ist es ein Anliegen der Aktivist*innen, dass Patient*innen selbst aktiv werden und für ihre sozialen Rechte kämpfen. Dieses Spannungsfeld sei nicht immer ganz einfach, so würde die Klink z.B. an Demonstrationen teilnehmen und diese politisch unterstützen. Im Ärzt*innen-Patient*innen-Kontakt werde aber niemals dazu aufgerufen zu Demonstrationen zu kommen. Die medizinische Hilfe soll ohne jede Gegenleistung erbracht werden. Die Erkenntnis, dass es Notwendig ist sich solidarisch Zusammen zu schließen und für seine sozialen Rechte zu kämpfen, kann nicht erkauft werden. Vielmehr versuchen die Aktivist*innen in ihrer alltäglichen Arbeit offen für neue Leute zu sein, die sich aus eigener Motivation einbringen wollen. Grundsatzentscheidungen würden in der Klink im Plenum mit allen Aktiven gemeinschafftlich getroffen.

Wir fragen ein wenig nach der Verteilung der solidarischen Kliniken im Land und erfahren, dass die solidarischen Kliniken in Griechenland hauptsächlich in den Städten angesiedelt sind. In den ländlicheren Gebieten würden sie nicht so sehr gebraucht werden, da es eine eigene günstigere Krankenversicherung für Menschen gäbe, die in der Landwirtschaft tätig sind. Hinzu kommt, dass über die Hälfte der Bevölkerung des Landes im Großraum Athen lebt und nicht in ländlicheren Gegenden.

die Apotheke der Klinik
die Apotheke der Klinik

Wir fragen weiter nach der Perspektive der solidarischen Arbeit im Allgemeinen und der Veränderung der politischen Verhältnisse. In vielen Gruppen der Bewegung gäbe es zurzeit Umstrukturierungen und ständig müssten politische Standpunkte in den Plena neu ausdiskutiert werden. Dann gehe es z.B. darum, ob es okay sei Geld anzunehmen, das aus Töpfen von Parteien kommt. Die heutige Regierungspartei Syriza sei in einem großen Teil der sozialen Bewegungen gut verankert gewesen, mit der Regierungsübernahme und der Unterwerfung unter das Regiment der Troika, sei diese Verzahnung aber zerbrochen. Heute würden über 50% der ehemaligen Mitglieder den offiziellen Kurs der Partei nicht mehr unterstützen. Dass die Neuwahlen am kommenden Sonntag (20.09.2015) etwas verändern würden, glaube aber fast niemand. Unabhängig davon, welche Partei die nächste Regierung stelle, würde die Politik von der EU vorgegeben werden und nicht in Griechenland bestimmt. Jedes neue Gesetzt, dass ins Parlament eingebacht werden soll müsse vorher von den Institutionen der EU genehmigt werden. Alexandra geht nicht davon aus, dass die nächste Regierung überhaupt ein Jahr bestehen wird.

Im Gespräch mit Alexandra wird klar, wie eng Politik und ärztliche Behandlung miteinander verknüpft sind. Sie spricht von einer allgemeinen Hoffnungslosigkeit der Menschen, welche dazu führe, dass immer mehr Patient*innen mit Depressionen behandelt werden müssten. Laut einer Broschüre, die wir bei „Solidarity for all“ bekommen haben, litten 2008 3.3% und 2013 12,3% der griechischen Bevölkerung an Depressionen. Alexandra glaubt nicht daran, dass sich das bald ändern könnte. Sie erwartet eine immer weiter steigende Arbeitslosigkeit und damit verbunden auch den kompletten Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Auch ein mit ihr befreundeter Arzt, welcher Direktor der Neurochirurgie eines Krankenhauses auf Kreta ist, habe ihr zugestimmt und zu ihr gesagt: „Häufig müssen wir improvisieren.“ Alexandra glaubt nicht, dass das so noch lange weiter gehen kann.
Auch wenn auf die Kliniken nun immer mehr Arbeit zu kommt, die Belastung noch größer wird und die Möglichkeiten Spenden und Recourcen zu sammeln noch schwieriger, so zeigt dies für Alexandra nur noch mehr die Notwendigkeit von solidarischen Strukturen, in denen die Menschen nicht alleine gelassen werden.

Spendenübergabe
Spendenübergabe

Am Montag waren wir noch einmal in der Klink und haben einen Teil unserer Spendengelder dort gelassen. Es ist eher ein symbolischer Betrag gewesen, aber wenn viele Menschen und Gruppen ein bisschen helfen, können wir zusammen viel erreichen.

2 Kommentare zu „Die solidarische Klinik und Apotheke im Zentrum Athens“

  1. Ich lese Euren Blog mit großem Interesse und Mitgefühl. Ihr gebt mir Inspiration, nachzudenken und mich zu besinnen. Und Einblick in das Leben – unbeschrieben von Medien – in Griechenland. Und Gedanken, neu mich mit solidarischer Ökonomie zu befassen – leider ist der Kongress in Berlin dazu gerade vorbei. Vielen Dank!

  2. Hallo,
    ich werde ab Oktober einen Master der internationalen Sozialen Arbeit beginnen.
    Ich benötige für meinen Master eine Projektskizze, die sich in einem ethnografischen Auslandspraktikum wiederspiegeln könnte. -Die solidarischen Kliniken in Griechenland interessieren mich daher besonders.

    Könntet ihr mir Kontakte vermitteln, zu den Kliniken bzw. weitere AnsprechpartnerInnen, so wäre ich sehr dankbar!

    Grüße,
    Annelie

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