Metropolitan Clinic of Hellinikos

Reisetagebuch Teil 1

Die solidarische Klinik Hellinikos
Die solidarische Klinik Hellinikos

Die Kritischen Mediziner*innen sind in Athen! Wir haben uns auf die Reise gemacht, um einige der solidarischen Kliniken zu besuchen, die sich in Griechenland gebildet haben, seit die öffentliche Gesundheitsversorgung versagt. Einerseits wollen wir gerne versuchen, einen Beitrag zu leisten und Solidarität zeigen, andererseits wollen wir aber auch lernen, in welchen Strukturen sich die Menschen organisieren um der Krise und der Austeritätspolitik entgenenzutreten. Obwohl es in Deutschland vergleichsweise gut läuft, verändert sich auch bei uns das Gesundheitssystem in Richtung Profit, stehen auch wir vor der Herausforderung, eine Menge neu in Deutschland angekommener Menschen zu versorgen und werden auch wir als zukünftige Ärzt*innen in einem System arbeiten müssen, das mit unseren Idealen und dem Wohlergehen von Patient*innen und uns selbst nur am Rande zu tun hat. Wir sind also auch auf Bildungsreise, gewinnen Eindrücke davon, wie in Griechenland Spar- und Repressionpolitik für den Rest Europas erprobt wird, aber auch davon, wie sich Widerstand organisieren kann und was für Alternativen möglich sein könnten. Diese Eindrücke schreiben wir hier für euch zum Mitlesen und gedanklich Mitreisen auf. Schreibt uns gerne zurück, was ihr dazu denkt, was für Fragen ihr habt, was euch noch interessieren würde!

Los geht’s mit unserem ersten Eintrag im Reisetagebuch:

Gestern waren wir in der Metropolitan Clinic of Hellinikos, die 2011 als zweite solidarische Klinik nach der in Thessaloniki gegründet wurde und im Moment eine der beiden größten ist. Nach einem reichlich verworrenen Weg durch den Athener Stadtrand, vorbei an einer Militärbasis und dem Baseballclub von Hellinikos, wurden wir von Christos in der Klinik empfangen. Die Freiwilligen Mitarbeiter*innen der Klinik arbeiten in Gruppen zusammen, die sich jeweils mit einem Aufgabenbereich beschäftigen, eine*n Koordinator*in wählen und sich in einer allgemeinen Assembly miteinander abstimmen. Christos ist der Koordinator der Kommunikationsgruppe und führt oft Gruppen von Journalist*innen, Aktivist*innen und anderen Interessierten durch die Räume. Entsprechend ausführlich und informativ war auch der Rundgang durch die Räumlichkeiten, in dem er die meisten unserer Fragen schon vorweg beantwortete. Hier eine kleine Mitschrift der Infos, die er uns erzählte:

Christos in der Apotheke der Klinik
Christos in der Apotheke der Klinik

Die Klinik hat drei Grundregeln: Sie nimmt keine Geldspenden, nur Sachspenden. Parteipolitik hat in der Klinik nichts zu suchen. Die Klinik macht keine Werbung für private Unternehmen, die Spenden abgeben, für andere politische Projekte allerdings schon, um Vernetzung zu fördern.

In der Klinik besteht alles aus Spenden, inklusive der Arbeitszeit, die komplett unentgeltlich geleistet wird. Zur Zeit arbeiten etwa 300 Freiwillige in der Klinik, davon etwa 150 Ärzt*innen, die jeweils 2-4 Stunden Schichten zusätzlich zu ihrem normalen Arbeitsalltag leisten.

Die Organisationszentrale der Klinik, die gleichzeitig als Empfang dient.
Die Organisationszentrale der Klinik, die gleichzeitig als Empfang dient.

Die Klinik in Hellinikos wurde nach den wochenlangen Demonstrationen 2011 gegründet, aus denen eine Vielzahl von solidarischen Projekten, Zeitbanken und Nahrungsmittelbanken erwachsen sind. (Hier eine Liste&Karte von solidarischen Projekten in Griechenland: http://omikronproject.gr/grassroots)

Während der Demonstrationen begann Chistos sich politisch zu engagieren und gründete zusammen mit 9 anderen Menschen die Klinik als ein Mittel des Widerstands gegen die katastrophale Austeritätspolitik, um solidarisch die am schlimmsten Betroffenen aufzufangen und gleichzeitig auf die Zustände aufmerksam zu machen und Öffentlichkeit herzustellen für die direkten Konsequenzen der Sparpolitik und für die Forderungen nach einer verantwortungsvollen, für alle frei zugänglichen Gesundheitsversorgung. Die Freiwilligen in der Klinik sehen ihre Arbeit nicht nur in der konkreten Unterstützung von Hilfsbedürftigen, sondern vor allem als Form des organisierten Widerstandes. Sie wollen nicht den Ausfall des öffentlichen Gesundheitsystems kompensieren, sondern die Menschen darin unterstützen für ihr unveräußerliches Recht auf medizinsche Versorgung zu kämpfen. So sieht Christos seine Klink nicht als humanitären Dienstleister, sondern als Teil einer Bewegung, die für ein menschenwürdiges Leben für alle eintritt.

Das zahnärztliche Behandlungszimmer
Das zahnärztliche Behandlungszimmer

Als die Klinik eröffnet wurde waren die Freiwilligen schockiert von der Anzahl der unterernährten Kinder, die kamen. Dass Krankheiten von staatlicher Seite nur noch minimal behandelt wurden war allen klar, aber dass Mangelernährung und Hunger bei Kleinkindern mitten in Athen ein echtes Problem waren, war eine erschreckende Überraschung. Die Klinik kümmert sich daher nicht nur um Medikamente, sondern auch um Säuglings- und Kindernahrung, die von Müttern abgeholt werden. Obwohl die Ernährungslage durch das wachsende Solidaritätsnetzwerk etwas entschärft ist, versorgt die Klinik weiterhin jeden Monat 100 Kinder unter 3 Jahren mit Nahrung und Impfungen.

Inzwischen hat die Klinik vier Untersuchungsräume eingerichtet, die komplett durch Spenden ausgestattet sind. Dazu zählen ein gut ausgestatteter zahnärztlicher Behandlungsraum, ein gynäkologischer Raum mit Ultraschall, wo PAP-tests und Schwangerschaftsbegleitung angeboten werden, ein sogenannter kardiologischer Raum, der neben einem EKG ebenfalls ein Ultraschallgerät hat, und ein psychologischer Raum, in dem für Erwachsene und für Kinder Einzel- und Gruppentherapien angeboten werden. Das Herz der Klinik ist allerdings die Apotheke, wo Freiwillige jede gespendete Tablettenpackung auf Haltbarkeit und Unversehrtheit überprüfen und alphabetisch einsortieren. Mehr als 99% der Medikamente kommen von Privatpersonen, deren Therapie umgestellt wird oder werden nach dem Tod von Angehörigen vorbei gebracht. So werden aus lauter angebrochenen Schachteln Packungen zusammengestellt, mit denen jeden Monat durchschnittlich 1.100 Fälle versorgt werden. Manche Medikamente kommen auch von internationalen Unterstützer*innen, die auf der Website der Klinik nachsehen, welche Präparate gerade gebraucht werden und diese selbst kaufen, per Post schicken oder selbst in einem Koffer bringen. Die Klinik in Hellinikos nimmt alles an, was angeboten wird, und funktioniert inzwischen als eine wichtige Verteilstation für Spenden. Durch die intensive Vernetzung kommen immer wieder Anfragen von anderen Projekten und sogar von staatlichen Krankenhäusern, die inzwischen so desaströs unterfinanziert sind, dass sie selbst keine Medikamente für ihre Patient*innen haben. Gleichzeitig hat die Klinik ein großes Netzwerk von Unterstützer*innen: Als die Freiwilligen eine Anfrage für einen Rollstuhl auf der Website veröffentlichten, wurden am nächsten Tag gut 25 Stück zur Abholungen angeboten.

Der kardiologische Behandlungsraum
Der kardiologische Behandlungsraum

Alle Spenden, die ihren eigenen Bedarf übersteigen, schickt die Klinik an andere solidarische Kliniken und an Projekte die sich um neu ankommende Refugees auf den Inseln kümmern. Jede Spende, die an staatliche Einrichtungen weitergegeben wird, wird genau dokumentiert und gesammelt. Die Klinik will diese Dokumentation als Beweismaterial für die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nutzen, die im Namen der Austeritätspolitik begangen werden. Da sich die Klink als politisches Projekt versteht, gehört die Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit zu einer der wichtigen Säulen der alltäglichen Arbeit. Christos erzählt uns von einem Preis, den das europäische Parlament der Klink für ihre vorblidliche Arbeit verleihen will. Nach längerer interner Diskussion haben sich die Freiwilligen aber dafür entschieden, den Preis ab zu lehnen, um gegen die Politik der europäischen Union zu demonstrieren. Die Ablehung des Preises solle nicht die Ablehnung von Europa zum Ausdruck bringen, sondern sei Kritik an der Politik der EU und der Troika. Diese Institutionen würden keine Politik für die Menschen, sondern für die reichen Eliten machen.

Wir fragen nach den Veränderungen, die durch die Krise und die Sparpolitik der Troika hervorgerufen wurden. Christos erklärt uns, dass in Griechenland alle Menschen, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind, nicht mehr durch die öffentlichen Krankenversicherung abgesichert sind und damit den Zugang zum öffentlichen Gesundheitsystem verliehren. Das sei auch vor 2009 schon so gewesen, damals aber nicht so gravierend, da die allgemeine Situation der Menschen noch aussreichend gut gewesen sei, dass über soziale Netzwerke oder familiäre Unterstützung im Einzellfall abhilfe geschaffen werden konnte. Zwischen 2009 und 2014 seien die Ausgaben im öffentlichen Gesundheitsbereich um 50% gekürzt worden und mit dem neuen Memorandum von 2014 würden jährlich weitere Kürzungen durchgefürt werden. Durch die Lohnkürzungen bei den Ärzt*innen seien fast 50% der in der Primärversorgung tätigen Ärzt*innen aus dem System ausgestiegen, so dass auch für Menschen mit Versicherung der zeitnahe Zugang zu ärztlicher Versorung fast unmöglich sei. Darüberhinaus müssten die Patient*innen mehr als 25% der Kosten für Arzneimittel selber tragen. Das sei vor allem für Arme, Renter*innen und chronisch kranke Menschen nicht leistbar. Aufgrund dieser Situation behandelt die Klink drei Gruppen von Patient*innen. Zum einen Menschen, die gar keine Versicherung (mehr) haben, dann Menschen, die arm sind, sich also die Zuzahlungen nicht leisten können, und als drittes Menschen ohne Lohnarbeitsverhältnis.

Bei der Behandlung der Patient*innen unterscheiden die Freiwilligen nicht nach Herkunft oder Pass, sondern nach Bedürftigkeit. Die limitierten eigenen Recourcen machen es nicht möglich allen zu helfen und Menschen, die eigentlich noch Zugang zum öffentlichen System haben, würden angehalten diesen auch in Anspruch zu nehmen. Die Versorgung von Geflüchteten spielt für die Klinik in Helinikos nur eine untergeordente Rolle. Das liegt nicht daran, dass solche Menschen abgewiesen würden, sondern vor allem an der Lage etwas auserhalb von Athen. Da Athen auf der Fluchtroute vieler Menschen eher ein Durchgangsort ist, finden nur wenige den Weg in den Randbezirk um hier medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.

Zuletzt haben wir Christos danach gefragt, in welcher Art und Weise verschiedene Menschen die Klinik unterstützen können und welche Rolle wir dabei spielen könnten. Neben den ganzen Sachspenden sei es für die solidarischen Kliniken extrem wichtig eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. In den griechischen Medien wird fast gar nicht über deren Arbeit berichtet und wenn doch einmal etwas publiziert wird, dann meist im negativen Sinne. Die meisten Informationen, wie die Arbeit der Kliniken wirklich aussieht, kommt aus anderen Ländern und wird über die verschiedensten Wege zurück nach Griechenland getragen.

Falls ihr noch mehr über die Klinik in erfahren wollt, dann schaut doch mal auf deren englischer Homepage vorbei (www.mkiellinikou.org/en) und wenn ihr selbst aktiv werden wollt, dann erzählt vielen Menschen, dass es die Kliniken gibt. Auf der Homepage gibt es auch immer eine Liste mit den Dingen, die dort aktuell benötigt werden.

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