Besuch bei den Kritischen Mediziner*innen in Freiburg

Es ist jetzt schon eine Weile her, dass wir in Griechenland waren und dort die solidarischen Kliniken besucht haben. Viele Aktivist*innen haben sich von uns gewünscht, dass wir möglichst weit verbreiten, wie das Griechische Gesundheitssystem durch die Austeritätspolitik ausgehöhlt wird und wie die solidarischen Kliniken arbeiten, um Widerstand aufzubauen. Deshalb haben wir am Montagabend bei einer Veranstaltung in Freiburg über unsere Reise nach Griechenland berichtet und am Morgen ein kurzes Interview bei Radio Dreyeckland (https://rdl.de/beitrag/was-wir-von-den-solidarischen-kliniken-griechenland-lernen-k-nnen) gegeben. Detailliertere Informationen gibt es auch in unseren Reisetagebucheinträgen (kritischemedizinerinnen.blogsport.eu) und bald auch als Podcast bei Radio Dreyeckland, die einen Mitschnitt der Abendveranstaltung gemacht haben.

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Im Anschluss an die Veranstaltung in Freiburg haben wir zusammen mit unseren Gästen die Frage, was wir von der Arbeit der Kliniken lernen können und die Möglichkeiten und Grenzen von solidarischer und sozialer Medizin in Deutschland diskutiert. Auch hier gibt es unterschiedliche Projekte und Zusammenschlüsse von Menschen, die versuchen, unabhängig vom Deutschen Gesundheitssystem zu arbeiten. Als Beispiele wurden die Medinetze und Medibüros genannt, die sich um die medizinische Versorgung von Menschen ohne Versicherung in Deutschland kümmern und gleichzeitig Teil von politischen Kampagnen sind, die sich für eine einheitliche Gesundheitsversorgung für alle Menschen einsetzen. Als ersten Schritt fordern sie eine Gesundheitskarte für Geflüchtete. Relativ neu sind diverse Gruppen, die sich um die medizinische Versorgung von Geflüchteten direkt vor zentralen Aufnahmeeinrichtungen (z.B. LaGeSo in Berlin) oder in Geflüchtetenunterkünften kümmern. Wir waren uns einig, dass es gut und wichtig ist, dass Menschen vor Ort sind und helfen, haben aber auch diskutiert, wie es weitergehen soll, wie sich die Menschen vernetzen könnten und wie wichtig es wäre neben der rein karitativen Arbeit auch die politische Lage zu reflektieren und dafür zu sorgen, dass sich daran etwas ändert. Was wären effektive Möglichkeiten, politischen Druck aufzubauen, ohne Menschen dafür leiden zu lassen? Ein großer Kritikpunkt an der aktuellen Praxis ist zum Beispiel, dass Ärzt*innen am LaGeSo und in Unterkünften teilweise bezahlt und teilweise unbezahlt nebeneinander arbeiten und viele Menschen in ihrer Freizeit damit beschäftigt sind, elementare Aufgaben des Staates zu übernehmen. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn alle Menschen, die sich in Deutschland um Geflüchtete kümmern, plötzlich damit aufhören würden. Dazu kommt, dass diese engagierte Notfallversorgung so viel Energie kostet, dass wir kaum dazu kommen, die langfristige Perspektive zu hinterfragen. Wann soll der soziale Wohnungsbau stattfinden, der endlich Menschen aus überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen in akzeptable Wohnräume bringt? Warum gibt es keine kreativeren Übergangslösungen als die, massenhaft Geld in Container und ähnlich unbeständige Unterbringungen zu stecken? Wenn die aktuelle Überforderungssituation nicht nur dazu dienen soll, von massenhaften Abschiebungen abzulenken, muss in dem Bereich bald einiges passieren.

Es wurde auch die Frage in den Raum geworfen, ob es uns in Deutschland vielleicht noch zu gut geht und es, wie in Griechenland, erst einmal eine Krise brauche, damit Menschen in der Not kreativ werden und solidarische Strukturen auf die Beine stellen können. Es ist beeindruckend wie professionell die griechischen Strukturen funktionieren, aber dem sind auch Grenzen gesetzt. Durch den Druck der Troika wird Griechenland zu immer weiteren Sparmaßnahmen gezwungen. Das wird dazu führen, dass immer mehr Menschen auf die Hilfe der solidarischen Strukturen angewiesen sind. Alle solidarischen Strukturen sind aber wiederum auf Spenden angewiesen. Wenn es so weiter geht, dann werden in der Zukunft nicht mehr genügend Menschen in der Lage sein Dinge, Geld und Zeit zu spenden, weil sie selbst auf die Hilfe von anderen angewiesen sein werden. Letztendlich klang viel Bewunderung für die aufgebaute Solidarität an, aber auch der Pessimismus, der den Blick der meisten Griech*innen in ihre eigene Zukunft bestimmt.

Ob auch in Deutschland erst eine Krise nötig wäre oder provoziert werden müsste, damit auch hier mehr solidarische Strukturen entstehen, ist fragwürdig. Die Politik und die profitorientierten Akteure im Gesundheitssystem sorgen auch so schon dafür, dass viele Menschen durch eine zunehmende Ökonomisierung von einer ausreichenden Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden. Im Angesicht von immer mehr „blutigen“ Krankenhausentlassungen im DRG-System und einem Unterschied von 10 Jahren in der Lebenserwartung von Menschen mit sozioökonomischen Vorteilen und denen mit den entsprechenden Nachteilen, finden wir die Lage wirklich schon schlimm genug.

Das System, in dem wir leben, sorgt aber auch ganz gut dafür, dass unser Leben mit Arbeit, Studium und Funktionieren täglich so sehr ausgelastet ist, das uns nicht viel Zeit bleibt um Dinge zu hinterfragen und uns zu organisieren. Diese Zeit müssen wir uns aktiv nehmen. Aber wenn wir versuchen, nicht allein zu kämpfen, dann können wir viel erreichen. In diesem Sinne noch einmal vielen Dank an die Kritischen Mediziner*innen in Freiburg für die Einladung. Es ist schön zu sehen, dass es an anderen Orten ähnliche Gruppen gibt, mit denen wir uns gerne vernetzen. Wir freuen uns schon auf weitere Zusammenarbeit!

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