„First they came with the tanks, then they came with the banks“

Reisetagebuch Teil 9

– Gedanken zum Abschluss –

Es war still in Griechenland, eine knappe Woche vor der Wahl am 20. September. Das sei ungewöhnlich für die Vorzeit politischer Entscheidungen, aber auch ein Ausdruck dessen, was wir immer wieder hören in unseren Gesprächen mit Aktivist*innen der Solidaritätsbewegung: dass die Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding“ am 19. August durch die Syriza-Regierung die Hoffnung zerstört habe. Eine Hoffnung, die sich deutlich ausdrückte in den 60,3 % Nein-Stimmen bei der Abstimmung im Juli über ein Ja zu den Sparforderungen der Geldgeber, und eine Hoffnung, die wieder auftrieb gab.

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Diese zu zerstören, sei das Schlimmste gewesen, was die Regierung dem griechischen Volk habe antun können. Und sie ist ein Fingerzeig darauf, was die vermeintliche „Griechenland-Rettung“ summa summarum sein wird: eine Rettung der Banken und Ruhigstellung der Gläubiger, die der Verelendigung ( u.a. Armutsquote 2012 von 32,3 %, Jugendarbeitslosigkeit 2013 von 59%, 33,2% in 2013 ohne Sozialversicherung ) in keinem Fall entgegen wirken wird und das Gefühl verstärkt, unterdrückt und übergangen worden zu sein. Oder, wie Christos von „Solidarity for all“ in Bezug auf die deutsche Besatzung von 1941 es ausdrückt: „First they came with the tanks, then they came with the banks.“

Es ist einfach, die hohe Verschuldung und den drohenden Staatsbankrott als isoliertes Problem eines einzelnen Landes zu betrachten und die „gierigen Griechen“ (Bild-Zeitung) ihrer gerechten Strafe zuzuführen, während der rechtschaffene deutsche Bürger gewohnt spar- und arbeitsam und bestärkt durch eine unbeugsame politische Linie und eine erschreckend einseitige bis hetzende mediale Berichterstattung, mühsam dem eigenen Bankrott entgegen scheffelt. Es verschafft ein Gefühl der Stärke und des National-Bewusstseins, zu glauben, die viel beschriebene „Krise“ sei ein Produkt persönlichen Versagens und „mediterraner“ Faulheit, ganz unabhängig von einem immer undurchsichtiger werdenden weltweiten Wirtschafts- und Finanzwesens. Und es legitimiert die schon fast mythisch anmutende „Troika“ bzw. „Quadriga“ als unbeugsame Exekutive der Rechtschaffenheit und erleichtert das eigenen Wegschauen.

Es ist immer schwieriger, das eigene Handeln und Selbstverständnis zu reflektieren. Auch wir konnten und wollten nicht alles sehen und mitbekommen. Dass zivilgesellschaftliches Engagement nicht nur Charity, sondern auch ein politisches Statement ist, ist der griechischen Solidaritätsbewegung enorm wichtig und soll auch so wahrgenommen und weiter getragen werden. Es ist also immer auch ein Einsatz für und Aufruf zum Aufbau einer Gesellschaft, in der Solidarität nicht nur ein hohles Schlagwort, sondern ein gelebter Zustand sein soll. Dies auch im Hinblick darauf, dass gerade weltweit so viele Menschen, wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr, gezwungen sind, ihre Heimatländer zu verlassen und Schutz zu suchen. Griechenland ist durch seine geografische Lage und das Dublin-Abkommen eines der Erstaufnahmeländer. Auch wenn die meisten Menschen weiterreisen möchten, brauchen auch sie Versorgung und Unterstützung; sie stellen ebenfalls eine große Gruppe des Patient*innenklientels der Kliniken, die wir besucht haben.

Auch der Rest Europas, inklusive Deutschland, kann angesichts der steigenden Zahlen Geflüchteter, das „Problem“ nicht länger – im wahrsten Sinne des Wortes – auf die südlichen Mitgliedstaaten abschieben. Auch hier gibt es einen schnellen Lösungsansatz: Während es wieder gesellschaftsfähig geworden ist seinen Unmut über „Asylanten“ und „Sozialschmarotzer“ beziehungsweise „Flüchtlingsromantiker“ auf sozialen Plattformen und in Leserkommentaren breitzutreten, gibt es fröhliche Selfies von Joachim Gauck mit Geflüchteten und das „helle Deutschland“, das Ankommende mit Applaus und Äpfeln empfängt. „Wir schaffen das“ (Angela Merkel) nämlich, wir haben eine Willkommenskultur geschaffen, quasi als Gegenentwurf zu den Brandanschlägen auf Asylunterkünfte durch deutsche Faschist*innen, oder wie einmal in einer der wenigen Sternstunden von Spiegel Online gefordert, besser zu bezeichnenden [ Nennt sie endlich ] „Terroristen“. Wer eigentlich willkommen ist, ist von mancher Seite auch schnell geklärt, wenn Unternehmenschef*innen durch Geflüchtetenunterkünfte stapfen und menschliches Material für das nächste deutsche Wirtschaftswunder suchen und die Menschen einkategorisiert werden in sogenannte „Armutsflüchtlinge“ und solche, die es wirklich verdient haben, aufgenommen zu werden. Und man kann den Zynismus auf die Spitze treiben, wie jüngst geschehen in den Reihen der CSU, als deren Bundestagsmitglied Max Straubinger verlauten ließ, man könne auch syrische Geflüchtete zurück schicken, „Aleppo ist [schließlich] nicht Damaskus“. Da wundert es dann auch nicht, wenn Mitglieder einer deutschen Bürgerwehr verstört in die Kamera heulen, sie fühlten sich „überfremdet“, weil urplötzlich nicht-weiße Menschen im örtlichen Supermarkt einkaufen gingen und sie im Vorfeld nicht ausführlich genug darauf vorbereitet worden seien. Dass es selbstgerecht und auch im höchsten Maße gefährlich ist, aus einer finanziellen und nationalstaatlichen (sprich, hat mensch einen deutschen Pass) Überlegenheitsposition heraus darüber zu urteilen, welcher Grund zu fliehen angemessen genug ist, wird in der Diskussion konsequent übergangen.

Es war ruhig in Griechenland, kurz vor der Wahl. Es wird nicht lange so bleiben.

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