#6 Verhütungsmethoden für Männer*


Zuerst ein kurzer, geschichtlicher Exkurs. Im weiteren Verlauf des Textes gibt es eine Übersicht über verschiedene Kontrazeptionsmethoden für Männer* ohne Anspruch auf Vollständigkeit.


Die Entwicklung der Pille ist, wie so oft in medizinischer Forschung, von Schattenseiten geprägt:Die ersten Ideen für hormonelle Verhütungsmethoden kamen um die 1920er Jahre herum auf. Es dauerte noch weitere 40 Jahre bis in den USA mit finanziellen Mitteln der Biologin Katharine McCormick diese Idee Einklang in die medizinische Forschung fand. Die frühe Aktivistin Margaret Sanger war, neben ihrem Einsatz für Verhütungsmethoden, auch Rassenhygienikerin und trat für Zwangssterilisation ein. Der Konzern Schering, der die Pille zuerst auf den Markt brachte, hat bis nach dem Krieg Experimente an Frauen in Auschwitz gerechtfertigt. Das Grundprinzip der damaligen Forschung, und der daraufhin erhältlichen Präparate, bestand darin, dem Körper von Menschen, die schwanger werden können, hormonell eine Schwangerschaft vorzutäuschen – denn während einer Schwangerschaft ist keine weitere Konzeption möglich.
Erst als Arzneimittel gegen Menstruationsbeschwerden eingeführt, unter starkem Protest der Kirche, wurde die „Pille“ später in Deutschland als Befreiung gefeiert. Die „Pille“ wirkte und wirkt auch im Sinne feministischer Kämpfe – unter anderem durch Vereinfachung sexueller Selbstbestimmung und mehr Macht über eine mögliche Familienplanung. Noch heute ist sie die Nummer eins unter den Kontrazeptiva, wenn auch mit rückläufiger Tendenz. So verhüten laut einer Umfrage von 2018 56% der 18-29-Jährigen Frauen* auf diese Art. Zahlreiche weitere Medizinprodukte oder Arzneimittel lassen sich schnell finden: Hormonpflaster, Kupferkette, Portiokappe, Diaphragma, um nur einige zu nennen. Bis auf Kondome haben gängige Verhütungsmethoden jedoch eines gemeinsam: Sie bleiben bis heute – ganze 60 Jahre nach der „Pillen-Revolution“ – vor allem Frauen*sache.
Dass über 60 Jahre verstreichen, in denen Kontrazeption vorwiegend von Frauen* übernommen wird, ist inakzeptabel. Es sind vor allem Frauen*, die für die Kosten der Pille oder anderer Verhütungsmethoden aufkommen müssen – und das nicht nur im wörtlichen Sinne. Mental Load um die korrekte Einnahme herum, starke Nebenwirkungen, Termine bei Ärzt*innen, bis die richtige Pille gefunden ist, Schmerzen beim Einsetzen von Intrauterinpessaren wie z.B. der Spirale – um diese Themen müssen sich Männer* kaum Gedanken machen. Derzeit tragen also vor allem Frauen* die Last und das Risiko zu verhüten. Die Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln können mit Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Migräne, Gewichtszunahme, Libidoverlust,  Stimmungsschwankungen und sogar Depressionen einhergehen. Bei kombinierten hormonellen Präparaten aus Progesteron und Gestagenen ist das Risiko für potenziell lebensbedrohlichen Thrombo-Embolien auch bei jungen Frauen* zweifach bis sechsfach erhöht. Zwar bleiben solche gefährlichen Nebenwirkungen selten, solchen Risikosteigerungen sind systematisch jedoch nur Frauen* ausgesetzt. In einer patriarchalischen Gesellschaft hat dies System und ist kein Zufall.
Es gab in den letzten Jahrzehnten Ansätze hormonelle Verhütungsmethoden für Männer* zu erforschen. Wie ernsthaft es dabei zugeht oder zuging ist jedoch leider fraglich. Handelt es sich wohlmöglich um Doppelmoral/Double Standards, wenn 2011 die WHO-Studie für hormonelle Verhütung für Männer* abgebrochen wurde, da die Teilnehmenden von unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen oder Libidoverlust berichteten, also denselben Nebenwirkungen, die bei Frauen* seit Jahrzehnten in Kauf genommen werden? Dass es trotz wissenschaftlichen und technischen Fortschritts bisher keine etablierten, anerkannten Verhütungsmethoden für Männer* gibt, die über Nutzung von Kondomen oder einer Vasektomie (Durchtrennung der Samenleiter) hinausgehen ist Ausdruck eines zutiefst patriarchalen Systems und der kapitalistischen Logik, kein finanzielles Risiko mit neuen Methoden eingehen zu wollen. So wird davon ausgegangen, dass Männer* keine Verantwortung für Verhütung übernehmen wollen und es somit keinen profitablen Anreiz für Pharmaunternehmen gibt, daran zu forschen. 
Allerdings gibt es kleine Hoffnungsschimmer. Es handelt sich um eine nur teils repräsentative Vorstellung von verschiedenen Methoden die sich in verschieden Phasen klinischer Testung befinden – oder eben nicht einmal das.


Vasagel

Das Vasagel ist ein Polymergel aus Kunststoff, das in die Samenleitern injiziert wird. Spermien können das Gel, im Vergleich zum Rest der Samenflüssigkeit, nicht passieren. Die Spermien werden vom Körper wieder abgebaut. So können Erektion und Ejakulation stattfinden und gleichzeitig eine Schwangerschaft verhindert werden. Das Gel soll ca. 1 Jahr in den Samenleitern verbleiben können, bei Kinderwunsch wird es durch die Injektion eines weiteren Mittels aufgelöst. Es wird demnächst eine Zulassung in den USA erwartet, das Arzneiprodukt/Medizinprodukt befindet sich derzeit in einer der letzten Studienphase der klinischen Testung.


Boulocho

Boulocho ist eine thermische Verhütungsmethose, die im Moment in Frankreich an Beliebtheit gewinnt. Während des Tragens der besonderen Unterhose befinden sich die Hoden näher zum Körper. Dadurch steigt die Temperatur in den Hoden leicht an, was bestimmte Enzyme weniger gut arbeiten lässt, wodurch letztlich die Spermienproduktion gehemmt wird. Die Wirksamkeit tritt nach ca. 3 Monaten ein, wenn die Unterhose 15h/Tag getragen wird. Um die Effektivität zu testen, wird nach dieser Zeit ein Spermiogramm gemacht. Wenn die Methode weniger als 4 Jahre benutzt wird, ist sie innerhalb von 3 Monaten reversibel.Dennoch gibt es keine (großen) klinischen Studien dazu und die Methode wird daher derzeit nicht offiziell anerkannt.


Samenleiterventil

Es wird eine kleine Operation benötigt, um das Samenleiterventil zu implantieren. Dabei werden die Samenleiter durchtrennt und durch das verschlossene Ventil anschließend wieder verbunden. 3 Monate später wird ein Spermiogramm angefertigt, um die Effektivität des Eingriffs zu überprüfen.Wenn Kinderwunsch besteht, lässt sich das Ventil umschalten, sodass die Spermien wieder in das Ejakulat gelangen können.Bisher gibt es wohl weltweit nur eine Person, die diese Methode bisher angewandt hat – der Erfinder Clemens Bimete selbst. Sollte es soweit kommen, wird das Samenleiterventil durch die notwendige Operation tendenziell eher zu den teuren Kontrazeptiva gehören. Studien gibt es ebenfalls noch keine. 


Justicia Gendarussa

Das grüne Chichlidenkraut ist vor allem in Südostasien endemisch. Die Pflanze wird von einigen indigenen Völker Indonesiens und Papua-Neuguinea sowie auf den Philippinen traditionell benutzt – etwa bei rheumatischen Erkrankungen, Koliken bei Kindern, oder Asthma – und nicht zuletzt manchmal zur Verhinderung einer Schwangerschaft. Dazu werden Tees zubereitet, oder die Blätter der Pflanze gegessen. Die Wirkung entsteht durch die Hemmung der Hyaluronidase, eines Enzyms das sich im Kopfteil der Spermien befindet. Durch die Hemmung verlieren die Spermien die Fähigkeit, sich mit der Eizelle zu vereinigen. Es sind bisher kaum Nebenwirkungen bekannt, Zeugungsfähigkeit soll nach derzeitiger Datenlage nach 30 Tagen wiederhergestellt sein. Studien laufen aktuell in Indonesien.

11-β-MNTDC

11-β-MNTDC greift wie die „Pille“ in den Hormonaushalt ein. Es reduziert die Synthese von Testosteron u.a. in den Hoden, wo eine hohe lokale Konzentration für die Spermienproduktion essenziell ist. So wird die Spermienproduktion deutlich vermindert. Gleichzeitig ahmt 11-β-MNTDC die Wirkung von Testosteron im ganzen Körper nach, sodass Nebenwirkungen vergleichbar milde ausfallen. Dies hat sich in der Phase-1-Studie gezeigt, sodass alle 40 Testpersonen die Präparate bis zum Ende der Studie eingenommen haben. Weitere Studien sind geplant. Allerdings stehen hier, sowie bei anderen hormonellen Kontrazeptiva für Männer*, noch bis zu 10 Jahre Wartezeit bis zur Zulassung an.


Die häufig postulierte Aussage, Spermien seien einfach zu resistent oder zu viele, um sichere Verhütungsmethoden zu entwickeln, wurde schon lange widerlegt. Das macht auch den eigentlichen Grund für die schleppende Forschung an Verhütungsmethoden für Männer* sichtbar: die Unterdrückung von Frauen*. Es wird Zeit, diese Episode hinter uns zu bringen. Die klinische Forschung ist noch längst nicht auf dem Stand, auf dem sie sein könnte, wenn wir Verhütung als Aufgabe aller Geschlechter denken würden und nicht der Person, die potentiell schwanger werden könnte, überlassen. Doch das aktuell herrschende Ungleichgewicht in Bezug auf Verhütungsmittel kann mit den vorgestellten Methoden hoffentlich langsam aufgelöst werden. Was jedoch den Kampf gegen sexuell übertragbare Krankheiten angeht, gibt es bisher keine Alternative zum Kondom – eine Verhütungsmethode, die den Kopf beider Parteien bedarf und weltweit für alle Menschen kostenlos verfügbar sein sollte!

1 Kommentar zu „#6 Verhütungsmethoden für Männer*“

  1. Schön, dass das Thema Fahrt aufzunehmen scheint. Die Initiative „Better Birth Control“ wird präsenter und in verschiedenen Ecken wird das Thema aufgegriffen. Als Ergänzung zum guten Artikel noch ein paar Links:

    – eine Studie zur hormonellen Verhütung für Männer*: https://academic.oup.com/jcem/article/101/12/4779/2765061
    – International Consortium for Male Contraception, 1. Pariser Manifest: http://www.ic-mc.info/wp-content/uploads/2016/06/Manifest-Paris-2016-deutsch.pdf
    – International Consortium for Male Contraception, 2. Pariser Manifest: http://www.ic-mc.info/wp-content/uploads/2018/07/2018-Das_2._Pariser_Manifest-deutsch.pdf
    – Beitrag aus Sachsen von 2020: https://www.juma-sachsen.de/allgemein/warum-wird-so-wenig-geforscht-radiobeitrag-verhuetung-fuer-maenner/

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