Universitäten sind politische Räume (und sind es schon immer gewesen)

Wir als Studierendengruppe planten vor einigen Wochen eine Veranstaltung zum Thema „die AfD und das Gesundheitssystem“, dazu wollten wir einen Hörsaal unserer Universität, der Charité, nutzen. Leider erhielten wir wenige Tage vor der Veranstaltung eine Stellungname vom Dekanat, das der Meinung war, wir dürften diesen Raum nicht für unsere Zwecke nutzen. Die Begründung: unsere Veranstaltung sei offensichtlich eine politische. Sie habe „unmittelbaren Bezug zu einer der aktuellen, im Bundestag vertretenen Parteien“. 
Dieser vermeintlichen Bewahrung der Neutralität, die von Seiten des Dekanats stattgefunden hat –  zum Zweck der Entpolarisierung und zum Schutz vor kontroversen Diskussionenmöchten wir widersprechen:
Diese Begründung dient nur dazu , uns Hörsäle zu verweigern, an denen tagtäglich politische Veranstaltungen stattfinden: Hörsäle, die an Pharmakonzerne vermietet werden, in denen Dozent*innen für ihre neoliberalen Kommentare und ihre rassistischen und sexistischen Ansichten eine Bühne geboten bekommen. Hörsäle, wo es immer noch keine Regelung dafür gibt, dass Interessenkonflikte genannt werden müssen und so ungehindert von Seiten der Dozierenden für bestimmte Produkte geworben werden kann. Ein Beispiel hierfür ist eine Vorlesungen der Dermatologie in Modul 9, in der das Shampoo „Head and Schoulders“ von einem Dozierenden beworben wird. 
Es ist nur wenige Monate her, dass in einer dermatologischen Vorlesung Bilder von Leni Riefenstahl gezeigt wurden, einer Fotografin, die eng an der Seite des NS-Regimes wirkte. Jeden Tag laufen wir über den Sauerbruchweg, dessen Rolle im NS-Regime uns fragen lässt, warum wir ihn in Ehren halten. Auch an Karl Bonhoeffer kommen wir nicht vorbei, der Gutachten über seine Patient*innen ausstellte und zum Teil mitbeteiligt war an ihrer Zwangssterilisation. Ihm zu Ehren benennt die Charité einen Weg nach ihm. In unseren Präpariersälen hängen Bilder von Hermann Stieve, einem Anatomen, für den Hingerichtete, deren einziges Vergehen in Ihrer Ablehnung der NS-Ideologie bestand, lediglich „Menschenmaterial“ für seine Forschung darstellten.
Lassen wir uns gemeinsam von dem Gedanken verabschieden, dies hier sei neutraler, unpolitischer, apolitischer, antipolitischer Raum, als könnte es solche Räume überhaupt geben. Die Frage ist, welche Politik hier gemacht wird.
Lesen wir im Leitbild der Charité, ist von einer Pyramide die Rede: ihr Boden besteht aus Werten wie „Fürsorglichkeit, Wissenschaftlichkeit, Verantwortung, Unternehmertum und Respekt“, ihr Körper ist gefüllt mit Mission und als ihre Spitze trohnt die Vision. Lesen wir weiter im Diversity Mission Statement der Charité, so wird versichert: „Dieser Haltung entsprechend wird in allen Gremien und Institutionen ein offener Diskurs gefördert und gefordert, der getragen wird von Akzeptanz, die über eine bloße Toleranz hinausgeht.
Nicht zuletzt finden an unserer Universität Vorlesungen zu Medizinethik und Medizin und Politik statt und die Charité hat Umweltleitlinien verfasst zum „Grundsatz einer nachhaltigen und zukunftsverträglichen Entwicklung.“
Wir suchen noch nach diesen Werten, von denen die Rede ist: Es scheinen die Verantwortung, die Fürsorglichkeit und der Respekt neben dem Unternehmertum in Form von Tochtergesellschaften auf der Strecke geblieben zu sein.
Die explizite Beschäftigung mit der Programmatik jeder politischen Gruppe und Partei muss ermöglicht und sogar gefördert werden. In diesem Fall ist diese Auseinandersetzung sogar besonders wichtig. Denn wir sind uns einig: Die AfD ist nicht irgendeine Partei, deren Legitimität durch ihre Wahl geklärt wurde. Wenn wir in unseren Veranstaltungen über die AfD diskutieren, reden wir von einer rassistischen Partei, die durch ihre Hetze mitverantwortlich ist an Übergriffen auf nicht-weiße Menschen. Es ist eine Partei, die traditionelle, frauen*unterdrückende Familienbilder am Leben erhält, wiederbelebt und erschafft. Es ist eine Partei, deren Anhänger*innen eindeutig zu viele Kontakte zur rechtsextremen Szene haben, als dass ihre Verharmlosung als „eine Partei wie viele andere auch“ gerechtfertigt wäre.
Es ist eine Partei, die dem Leitbild der Charité nicht entspricht – weder ihren Werten noch ihrer Umweltleitlinie.
Wenn wir eine Veranstaltung über eine rechte Partei halten, die als drittstärksten Kraft in den Bundestag gezogen ist, wird sie polarisieren. Es werden Konflikte aufkommen, mit Mitstudierenden, mit Veranstaltungsteilnehmer*innen, mit Kolleg*innen und Bekannten. Doch wir sind der Meinung, dass wir diese Konflikte nicht ignorieren können und dürfen. Ob wir in einem Hörsaal über sie sprechen dürfen oder nicht, diese Meinungen existieren und durchziehen unsere Gesellschaft. Mit unserem Schweigen machen wir das Problem nicht unsichtbar, sondern decken und verstecken rechte Strukturen und Nazis unter uns. 
Politisch sein bedeutet, Einfluss zu nehmen auf Gesellschaft, auf private und öffentliche Bereiche. Politik findet nicht (nur) im Moment der Bundestagswahl 2017 statt, isoliert zwischen den geheimen Wahlkabinen, sondern im öffentlichen und privaten Raum –  in jedem Raum, in jeder Ecke der Gesellschaft. Veranstaltungen erschweren, Veranstaltungen einen Ort zu geben oder nicht auch das ist Politik.
Medizin ist die Wissenschaft, die wohl am nächsten an Menschen ist (und zwar an jedem Menschen: auch Geflüchtete, Frauen*, queere Menschen, nicht-leistungsfähige Menschen). Wie der noch so oft zitierte und an der Charité praktizierende Mediziner Rudolf Virchow sagte: Medizin ist Politik im Kleinen. Wer und wo sonst sollte Verantwortung gezeigt werden für Themen der Gesundheitspolitik, wenn nicht Mediziner*innen an medizinischen Universitäten und Kliniken?
Wir rufen dazu auf, Politik an der Uni wieder sichtbar zu machen. Die Universität ist ein Ort der Bildung, der Lehre und des Widerstandes gegen menschenfeindliche Strukturen. 
Wir wünschen uns von diesem Ort der Lehre, transparent seine Position darzulegen. 
Wir fordern von einem Universitätsklinikum, auf dessen Fahne Toleranz, Respekt und Verantwortung stehen, diese Werte zu zeigen, zu ihnen zu stehen und sie zu leben – anstatt das Bild einer profitorientierten scheinneutralen Fabrik abzugeben.
Wir schreiben dies, weil wir uns diesen Raum nicht nehmen lassen wollen. Wir veranstalten Diskussionen, um politischen Diskurs zu ermöglichen, um Verantwortung zu zeigen und um unseren rechten Mitbürger*innen nicht den Rücken zu decken, eben „um Politik im Kleinen zu machen“. 
„Seit über 300 Jahren steht für die Charité – Universitätsmedizin Berlin der Mensch in seiner Vielfalt im Mittelpunkt.“
– Diversity Mission Statement der Charité, 72 Jahre nach Ende des NS-Regimes